„Ich hab' doch alles für ihn getan…“

Angehörige von Alkoholiker merken oft nicht, dass sie sich längst ein Verhalten angeeignet haben, das jenem des Süchtigen gleicht: Es wird, was den Alkohol betrifft, gelogen, vertuscht, verheimlicht. Und obwohl der Angehörige selber kaum trinkt, dreht sich auch bei ihm alles um den Alkohol. Dabei ist es wichtig, dass der Angehörige lernt, sein Leben so zu leben, wie er es eigentlich möchte. Wichtig für ihn, aber auch wichtig für den Alkoholiker.

„Warum?“ Anna F. lässt die Frage nicht mehr los. „Warum hat es so mit ihm geendet? Ich habe doch alles für ihn getan!“
Das stimmt. Anna hatte für ihren alkoholkranken Mann wirklich alles getan. Die 46-jährige Sekretärin hatte Günther immer aufopfernd gepflegt, wenn er aufgrund des vielen Alkohols vom Vorabend glaubte, im Sterben zu liegen, sie hatte in seiner Firma angerufen und ihn krank gemeldet, wenn er nicht zur Arbeit gehen konnte und sie räumte stillschweigend die leeren Flaschen weg, bevor Besuch kam. Sollte ja niemand sehen, dass Günther trank. Und sie hatte ihn überwacht, hatte seine Einkaufstaschen kontrolliert, wenn vom Supermarkt kam. Sie hatte ihm nach spioniert, wenn er sagte, er ginge nur zu einem Freund – und landete doch in der Kneipe.


Sie hatte ihn gedroht, ihn zu verlassen, wenn er nicht aufhört mit dem Trinken. Mehrmals sagte sie ihm, dass es nun genug sei und sie zum Scheidungsanwalt gehe. Doch sie ist immer geblieben bei ihm. Mehr aus Mitleid denn aus Liebe. Wie kann man jemanden auch lieben, der immer besoffen nach Hause torkelt, seinen Rausch auf der Wohnzimmercouch ausschläft weil er es ins Bett nicht mehr geschafft hatte.

Wie kann man so einen nur lieben, fragte sie sich oft. Obwohl – geschlagen hatte er sie nie, dazu war er viel zu weich. Trotzdem hatte sie keine Achtung mehr vor ihm. Zu groß war die Scham, wenn sie in seiner Firma anrief und sagte, dass er Halsweh habe, darum könne er es nicht selber tun. Oder wenn sie Einladungen bei Freunden oder der Familie absagen musste, weil er schon am Sonntagvormittag besoffen war. Nein, mit Liebe hatte ihre Beziehung nichts mehr zu tun. Aber Günther brauchte sie, ohne sie könne er nicht überleben. Sie musste stark sein, sehr stark sogar.
Und nun ist er tot. Zu Tode gesoffen. Anna F. quält seitdem nur eine Frage: Warum dieses Ende, warum konnte er nicht aufhören damit? Wo sie doch alles für ihn getan hatte…

 

Anna F. Ist ein typisches Beispiel für einen Co-Alkoholiker.

Bei ihr hatte sich alles um den Alkohol gedreht – und konnte ihm nicht entkommen. 

 

Unter einer Co-Abhängigkeit versteht man das Verhalten eines des Alkoholikers nahestehenden Menschen, der dem Abhängigen die Verantwortung abnimmt, sein Trinken entschuldigt, rechtfertigt und verheimlicht und ihm jegliche Belastung abnimmt oder zumindest ersparen will.

 Co-Abhängige sind meist Ehefrauen und Ehemänner, Kinder, Geschwister, Eltern, Arbeitskollegen und Freunde. Aber auch Ärzte und Therapeuten können in eine Co-Abhängigkeit schlittern. Man rät den Betroffenen, sich über das Wesen der Alkoholkrankheit zu informieren und zu akzeptieren, dass es sich dabei tatsächlich um eine Krankheit und nicht um eine schlechte Charaktereigenschaft handelt.

„Die sozialen Folgen des Trinkens sollten nicht vertuscht werden, etwa durch Entschuldigung beim Arbeitgeber, Betroffene sollen außerdem professionelle Hilfe bei einer ambulanten Beratungsstelle suchen. Eventuelle Maßnahmen sollten genau überlegt, geplant und dann auch konsequent durchgeführt werden.“

Es macht keinen Sinn, Drohungen zu äußern und sie dann nicht richtig auszuführen sowie Vorwürfe zu machen und herumzunörgeln.

 

Wichtig ist, dass man erkennt, dass Co-Alkoholismus eine Krankheit ist. Hier können Selbsthilfegruppen oder Angehörigengruppen sehr hilfreich sein. Hier lernt man, wieder sein eigenes Leben zu leben, seine Hobbys und Interessen wieder zu entdecken – unabhängig davon, ob der Angehörige noch trinkt oder nicht. Er muss sich erst wieder selbst finden.